Über Corona reden – leicht gemacht

Warum drehen so viele Leute immer gleich durch, wenn es um Corona geht? Die Diskussion könnte auch ganz anders laufen, wenn man den Mut hat, etwas ganz Verrücktes zu wagen. Aber Vorsicht: Auch dieser Ansatz ist gefährlich, wie der erste Versuch zeigte. Beim zweiten lief es schon sehr viel besser.

Corona ist furchtbar. Das Virus macht krank, es nimmt einem die Luft zum Atmen und tötet Menschen.

Aber nicht nur das. Das Virus macht uns auch alle verrückt.

Nachbarinnen und Nachbarn geraten sich in die Haare, Freundinnen und Freunde werden zu Feindinnen und Feinden, Familien brechen auseinander – und alles nur wegen dem Virus und dem Streit um die Massnahmen.

«Dieser Konflikt vergiftet die Beziehungen im ganzen Land», stellt der Tages-Anzeiger fest. Und auch in der Politik geht es nur noch darum, wer der anderen Seite lauter ins Gesicht schreien kann, ergänzt Philipp Loser im Magazin des Tages-Anzeigers.

Erst recht katastrophal ist dieser Befund für Schulen, wo sich Auseinandersetzungen ähnlich schnell und ähnlich heftig entflammen wie in einer Beziehung. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass einem im Unterricht nicht einmal der letzte Ausweg in Form einer Trennung oder Scheidung offensteht. In der Schule muss es bis zum Abschluss immer irgendwie weitergehen, egal wie vergiftet die Stimmung ist.

Pflegende sind wieder mal die Rettung

Am schlausten wäre es also wohl, im Unterricht erst gar keine Diskussionen über die Abstimmung vom 28. November zuzulassen.

Die wohl meistdiskutierte der Vorlage der vergangenen Jahre totzuschweigen, wäre aber auch etwas seltsam.

Also nimmt man das Abenteuer auf sich, in der Gewissheit, dass schon im Voraus alles verloren ist. Das hat wenigstens einen Vorteil: Wenn es sowieso nicht mehr drauf ankommt, kann man alles versuchen, auch etwas Verrücktes.

Man kann zum Beispiel so tun, als gäbe es auch bei diesem Geschäft nicht nur eine einzige Wahrheit. Als wäre der Umgang mit dem Virus ein Dilemma, bei dem es den perfekten Ausweg nicht gibt.

Weil: Dilemmas immer gut sind im Unterricht. Sie sind spannend, sie animieren zum Nachdenken und man kennt sie auch aus dem Alltag nur allzu gut. Darum kennen auch viele Menschen einen Weg, wie sie damit umgehen können. Den besten haben – selbstverständlich – die neuen Lieblinge der Schweiz, die Pflegenden. Ihre vier ethischen Prinzipien – Autonomie, Gutes Tun, Schaden vermeiden, Gerechtigkeit – lassen sich auf fast jede Lebenssituation und damit auch auf jedes Dilemma übertragen.

Also habe ich im Unterricht die Frage gestellt, inwiefern das Zertifikat, der wohl umstrittenste Teil des Gesetzes, diesen Prinzipien entspricht beziehungsweise widerspricht.

Das Ergebnis war sehr unterschiedlich. Der erste Versuch verlief auch nicht besser als eine Corona-Debatte in der Politik. Traurig. 

Der zweite Versuch war schon besser. Hier das Resultat:

   Inwiefern erfüllt das Zertifikat dieses Prinzip?  Inwiefern widerspricht das Zertifikat diesem Prinzip?  
Autonomie  Jeder kann selber entscheiden, ob er sich impfen lassen möchte oder nicht. Nicht Geimpfte werden in ihrer Freiheit eingeschränkt

Sie werden dazu gedrängt, sich impfen zu lassen.
Gutes tun  Veranstaltungen sind wieder möglich.

Es kommen nur Menschen zusammen, die im Krankheitsfall wohl einen milderen Verlauf dank der Impfung zu erwarten haben und Gesunde. Das gibt einem ein Gefühl der Sicherheit.
Man tut den nicht Geimpften mit dem Zertifikat nichts Gutes, da sie nicht frei alles tun und lassen können, was sie wollen.
Nicht schaden  Geimpfte sind weniger ansteckend und somit weniger eine Gefahr für andere.

Geimpfte haben einen möglichst guten Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf; das entlastet die Spitäler und verhindert einen nächsten Lockdown, der weitere soziale und wirtschaftliche Probleme mit sich brächte.
3G bietet nur eine Scheinsicherheit, da Geimpfte auch krank sein können und anderen anstecken. 

Es ist schlimm für nicht geimpfte Jugendliche und junge Erwachsene, wenn sie nicht mehr an allen Veranstaltungen teilnehmen können.

Soziale Kontakte fehlen. Das führt auch zu psychischen Problemen, die psychiatrischen Dienste sind darum überlastet.
Gerechtigkeit  Fast alle können sich impfen lassen und jene, die das tun, haben alle die gleichen Möglichkeiten so wie früher.  Nicht Geimpfte werden ausgeschlossen.

Der Bundesrat hat angekündigt, dass alles wieder möglich sein soll, sobald alle die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen. Dieses Versprechen wird nun nicht eingelöst.

Diese Punkte konnten alle nachvollziehen. Unterschiede gab es aber in der Gewichtung. Die knappe Mehrheit war für das Zertifikat wie auch für das Covid-Gesetz. Die Gegnerinnen und Gegner störten sich an einzelnen Punkten wie dem teilweise erschwerten Zugang für Ungeimpfte zu Hochschulen oder äusserten ein generelles Unbehagen gegenüber den Kontaktbeschränkungen. 

Ach Gott, die heutige Jugend!

Ein Geschrei gab es deswegen nicht. Warum auch, so nah wie sich die Positionen waren?

Ein Gegner sagte sogar: Die einschränkenden Massnahmen, der Lockdown – alles sei nötig gewesen, sonst hätte es zu viele Fälle und zu viele Tote gegeben. Dennoch stimme er Nein, weil er nicht möchte, dass es weitere Verschärfungen gebe und die Massnahmen nie mehr beendet würden.

Ach Gott – die heutige Jugend! Denkt nur an sich, war mein erster Gedanke (oder etwas in der Art).

Ach Gott – die heutige Jugend!, war auch mein zweiter Gedanke, der dritte und der vierte.

Dann erinnerte ich mich daran, wie häufig auch ich schon mehr mit dem Bauch als mit dem Kopf abgestimmt hatte, vor allem, wenn das Resultat klar schien.

Offensichtlich gibt es nun auch bei dieser Abstimmung Menschen, die sich diese Freiheit nehmen, weil es für sie nicht um alles geht, um unsere Demokratie und die Einheit unseres Staates. Sondern um eine ganz normale Vorlage, die – gleich wie alle anderen auch – eine möglichst gute Lösung für ein vorhandenes Problem ermöglichen soll.

Eigentlich noch beruhigend.

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