Die Schweiz spricht über die Misere in der Pflege und der Pflegeausbildung ganz speziell. Hier kommen die Betroffenen zu Wort – junge Menschen, die in der Region Basel eine Ausbildung als Fachangestellte Gesundheit (Fage) beziehungsweise als Pflegefachfrau absolvieren. Das Gespräch zeigt, wie krank das System ist. Und wie schön der Pflege-Beruf eigentlich sein könnte.
Das Bild Ihres Berufsstandes in der Öffentlichkeit ist etwas widersprüchlich. Mal werden Sie als die „neuen Lieblinge der Schweiz“ bezeichnet, mal als „Prügelkinder“. Wie fühlen Sie sich denn selbst?
Lernender 1: Mal so, mal so. Manchmal game ich bei einem guten Freund und sein kleiner Bruder ist häufig auch dabei. Wenn ich ihnen sage, dass ich einen guten Arbeitstag hatte, entgegnet der Kleine: «Also das könnte ich nie, immer nur Arschputzen.» Dabei bietet die Pflege ja so viel mehr – und das wird von vielen Menschen auch erkannt. So läuft es ja eigentlich bei allen Dingen: Da gibt es die aufgeklärteren Menschen. Und eben auch die anderen.
Lernende FH: Welche Bedeutung wir haben, merken die Menschen häufig erst, wenn sie selbst im Spital landen. „Aha, euch brauchts ja wirklich“, sagen sie dann. Wer jung ist und uns noch nie im Einsatz sah, unterschätzt unseren Aufgabenbereich und damit unsere Bedeutung möglicherweise schon etwas. Darum kriege ich auch immer wieder zu hören, wir würden uns ständig über unsere Arbeitsbedingungen beschweren und immer nur jammern
Lernender 2: Wobei sich die Wahrnehmung mit „Corona“ auch etwas geändert hat, wie mir scheint. Die Aufmerksamkeit ist gewachsen und damit auch das Verständnis. Heute nimmt man uns schon fast als geschützte Gruppe wahr. Man hat Mitleid und getraut sich nicht mehr, etwas Kritisches zu sagen.
Lernende 3: Noch immer wird aber ein grosser Unterschied zwischen Altersheim und Spital gemacht – vielleicht sogar ein grösserer noch als vor „Corona“. Wer im Spital arbeitet, wird deutlich besser angeschaut als jene, die in der Langzeitpflege tätig sind, weil diese ja angeblich nicht viel mehr tun, als alten Leuten was vorzulesen und eben: Fudi zu putzen.
Jammern ist ein gutes Stichwort. Es gibt auch innerhalb Ihres Berufsstandes Kolleginnen und Kollegen, die sagen, die Pflegenden würden den Beruf selbst schlecht machen, indem sie immer nur über die Probleme reden.
Lernender 2: Das Hauptproblem sehe ich in der Unfähigkeit, sich als Team zu formieren. Viele haben Angst, sind immer im Stress, wissen nicht, was sie sagen dürfen und was nicht und reden dann hintenrum oder schweigen im Zweifelsfall lieber. Darum bleibt vieles unausgesprochen und unklar und das erschwert es innerhalb der Betriebe, gemeinsame Positionen zu erarbeiten und diese auch zu vertreten. Und selbstverständlich schadet das auch dem Arbeitsklima.
Lernende 4: Diese Aufsplitterung ist auch ein Problem der Hierarchien. Je weiter man sich vom Bett und den Patientinnen und Patienten entfernt, desto höher steigt man.
Lernende 5: Wer welche Stellung innehat, sieht man selbst in den Pausen, wenn die AGS und die FaGe an einem Tisch sitzen, die Pflegefachleute am nächsten, dann kommen die Assistenzärztinnen und Assistenzärzte und so weiter. Wie soll da ein Gruppengefühl aufkommen?
Gibt es diese Gräben in allen Betrieben?
Lernender 2: Ich kann nur von meinem Betrieb sprechen. Da ist es so: Wer die eigentliche Arbeit macht, hat den schlechtesten Stand. Selbst wenn die Bude brennt, kommt die Stationsleitung nicht auf die Idee, sich blicken zu lassen.
Lernender 1: Ich denke, da gibt es grosse Unterschiede von Betrieb zu Betrieb. Ich zum Beispiel habe eine mega gute Station. Da gibt’s diese Unterschiede nicht, sondern eine wirkliche Zusammenarbeit.
Maya Graf hat in einem Interview mit einer Gruppe aus Ihrer Klasse gesagt, Pflegende würden immer weiter und weiter arbeiten, auch wenn sie nicht mehr können. Ist das so?
Lernende FH: Schon. Wir können unser Team ja auch nicht im Stich lassen, wenns wieder mal einen Engpass gibt. In einem anderen Beruf kann man sagen: Sorry, heute leider nicht, wir liefern erst morgen oder übermorgen. Das funktioniert bei uns nicht. Wir müssen das machen, was gemacht werden muss – und zwar meistens sofort.
Lernende 4: Wenn wir das nicht tun, leidet die Qualität der Pflege – und damit ein anderer Mensch.
Wirken sich die Belastung und die Personalengpässe trotz aller Sonderefforts schon heute auf die Sicherheit aus?
Alle: Ja.
Haben Sie da Beispiele?
Lernende 6: Aus Kostengründen verzichtet man zum Beispiel auf Sitzwachen. Die Folge davon sind Stürze und Verletzungen, die man mit genügend Personal einfach verhindern könnte.
Lernender 7: Anderes Beispiel: Man mobilisiert Patientinnen und Patienten alleine statt zu zweit, wie es eigentlich sinnvoll wäre. Das gibt dann eine Hauruckübung, das ist nicht unbedingt angenehm für die Patientinnen und Patienten und auch nicht für den eigenen Rücken.
Hier geht es zum zweiten Teil des Monatsgesprächs, in dem die jungen Pflegerinnen und Pfleger erklären, warum die Mehrheit unter ihnen lieber einen anderen Job hätte.
Das Gespräch ist am Rande eines Schulprojektes an der Berufsfachschule für Gesundheit Baselland über die Pflegeinitiative entstanden. Mit geredet haben 13 Lernende, die im kommenden Jahr ihre dreijährige Lehre als Fachangestellte Gesundheit (Fage) und parallel dazu ihre Berufsmaturitätsaudbildung abschliessen werden. Am Gespräch beteiligte sich zudem eine ehemalige Lernende, die sich nun an der Fachhochschule zur Pflegefachfrau ausbilden lässt. Geführt wurde das Gespräch vom hochgeschätzten Geschichtslehrer (also mir).